| Pit Schultz on Sun, 19 May 96 05:13 MDT |
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| nettime: Mobile States/Shifting Borders/Moving Entities - Inke Arns |
Mobile States / Shifting Borders / Moving Entities
The Slovenian Art Collective Neue Slowenische Kunst (NSK)
Mapping the New Post-Territorial Communities
by Inke Arns <inke@is.in-berlin.de>
"Immer geht es um Objektivitaet und Subjektivitaet, aber nie
um Trajektivitaet. In der anthropologischen Diskussion um
Nomadentum und Se§haftigkeit wird erklaert, wie die Stadt
als wichtigste politische Form der Geschichte entstanden
ist; aber es fehlt jegliches Verstaendnis fuer das
Vektorielle unserer auf der Erde hin- und herziehenden
Gattung.
Zwischen Subjektivem und Objektivem bleibt offenbar kein
Platz fuer das "Trajektive", naemlich dafuer, da§ eine
Bewegung von hier nach dort stattfindet, eine Bewegung von
einem zum anderen, ohne die wir die verschiedenen Ordnungen
der Wahrnehmung der Welt niemals wirklich verstehen werden."
(Virilio) (1)
* Hermetisierung der Territorien
Politische Ereignisse haben Ende der 80er bzw. zu Beginn der
90er Jahre zum Verfall der bis dato gueltigen Weltordnung
gefuehrt, die die Welt in zwei antagonistische Bloecke
einteilte. Gleichzeitig wird eine neue Weltordnung sichtbar,
die nach Baudrillard durch "weissen Fundamentalismus,
Protektionismus, Diskriminierung und Kontrolle"
charakterisiert ist. Dieses "reale, weisse, moralisch,
oekonomisch oder ethnisch weiss gemachte, einheitliche und
gesaeuberte Europa" (2) ist ein Resultat des
Ethnopluralismus, der zwar das Recht auf Differenz
bekraeftigt, dieses Recht aber nur unter der Gewaehrleistung
der Unantastbarkeit der eigenen Identitaet zulaesst - also
mit der Segregation des Anderen operiert.
Im Europa der Gegenwart schlagen sich die Konzeptionen einer
so formulierten nationalkulturellen Identitaet in der
Tendenz zur zunehmenden Subnationalisierung nieder. Dieser
Partikularismus aber stellt nichts anderes dar, als die
Verlagerung der bekannten "Lebensraumkonzeption" auf die
Region.
Im Zusammenhang mit der Wahrung des "Lebensraums" der
europaeischen Nationen ergibt sich in der politischen Praxis
eine zunehmende Hermetisierung der aeusseren Grenzen der von
ihnen besetzten Territorien sowie eine gleichzeitige
zunehmende ideologische Ueberfrachtung derselben, insofern
das Territorium wesentlicher Bezugspunkt der Abgrenzung
gegen das Andere / den Anderen ist.
Obwohl man ihn ueberwunden glaubte, gewinnt der Begriff des
Territoriums in den 90er Jahren eine neue Brisanz: als
Kristallisationspunkt aktueller politischer Konflikte.
* Art Facing Territory
In den 90er Jahren untersuchen KuenstlerInnen die
Mechanismen, die den politisch-territorialen status quo
konstituieren. Dabei erzeugen sie parallel funktionierende,
subversive Ordnungen, die immer auch auf eine Transformation
des Territoriums, d. h. auf die Durchbrechung von
territorialen Festsetzungen ausgerichtet sind. Einerseits
versuchen kŸnstlerische Projekte alternative Gegenentwuerfe
zu den wiedererstarkten politischen Fixierungen auf
Territorien, Ethnien und Grenzen zu entwickeln, andererseits
stellen sie den Sinn eines nationalkulturell definierten
Territoriums in Frage und versuchen neue produktive
Kategorien zur Definition des gesellschaftlichen Raumes zu
entwerfen. Jameson bemerkt dazu:
"Die neue politische Kunst - sollte sie ueberhaupt moeglich
sein - wird es mit der 'Wahrheit' der Post-moderne halten,
das hei§t festhalten muessen an der wesentlichen Tatsache,
am neuartigen Welt-Raum des multinationalen Kapitals. Dabei
sollte ein Durchbruch moeglich sein zu heute noch nicht
vorstellbaren neuen Formen der Repraesentation dieses Raums,
mit denen wir wieder beginnen koennen, unseren Standort als
individuelle und kollektive Subjekte zu bestimmen. *...* Wenn
es etwas wie eine politische Erscheinungsform der
Postmoderne geben sollte, so waere diese dazu aufgerufen,
eine globale Kartographie unserer Wahrnehmung und Erkenntnis
zu entwerfen und diese in den genau zu ermessenden
gesellschaftlichen Raum zu projizieren." (3)
Das Spektrum kuenstlerischer Strategien reicht in den 90er
Jahren von den Versuchen der physischen Durchwanderung
realer Territorien ueber die Simulation politisch-
territorialer Strukturen und Mechanismen bis zu
fundamentalen, an Expansionsbestrebungen heranreichende
Formen der Eroberung von unkontrollierten Territorien (4).
* The 80s: Facing Ideology - "NSK - More Total than
Totalitarianism"
Das seit 1984 bestehende multimediale Kuenstlerkollektiv
'Neue Slowenische Kunst' setzte sich aus der Musikgruppe
'Laibach' (* 1980), dem Malerkollektiv 'Irwin' (* 1983) und
dem Theaterensemble 'Gledalisce Sester Scipion Nasice' (*
1983) zusammen. Nach den 1982 von 'Laibach Kunst' - der
'Vorlaeuferorganisation' der NSK - verfa§ten 10 Tock
Konventa definierte sich die NSK nicht als Zusammenschlu§
einzelner Individuen, sondern explizit als uniformes
Kollektiv, das nach dem Vorbild des Staates dem Prinzip der
industriellen Produktion und dem "Direktivenprinzip"
verpflichtet war und die "Identifikation mit der Ideologie"
als seine Arbeitsmethode uebernommen hatte. Bei dieser
wohlkalkulierten Uebernahme von Bestandteilen und dem Spiel
mit Versatzstuecken der offiziellen Ideologie, die von
'Laibach Kunst' als "ready-mades" in Sinne von Duchamp
begriffen wurden, ging es darum, vorhandene Herrschaftscodes
aufzunehmen und "diesen Sprachen mit ihnen selber [zu]
antworten." (5) Es handelte sich um eine Strategie, die
Zizek als radikale "Ueber-Identifizierung" mit der die
gesellschaftlichen Beziehungen regulierenden Ideologie
bezeichnet hat. 'Laibach Kunst' bzw. die spaeter gegruendete
'Neue Slowenische Kunst' traten - unter Verwendung aller
durch die offizielle Ideologie explizit und implizit
vorgegebenen Identifikationsmomente - als eine Organisation
auf, die noch "totaler als der Totalitarismus" (Groys) zu
sein schien. Es handelte sich um einen provokativen Verweis
auf die dem "semitotalitaeren System" (Barber-Kersovan)
Jugoslawiens zugrundeliegende ideologische Struktur.
'Retrogarde': Verarbeitung kollektiver Traumata
Verbindlich war fuer alle Gruppen der NSK die Arbeitsmethode
der 'Retrogarde', die mittels eines "emphatischen
Eklektizismus" auf die Texte (Zeichen, Bilder, Symbole und
Formen der Rhetorik) zurueckgriff, die retrospektiv zu
Erkennungszeichen bestimmter kuenstlerischer, politischer,
religioeser oder technologischer 'Erloesungsutopien' des 20.
Jahrhunderts geworden sind. Diese sehr unterschiedlich
gearteten, immer auch aesthetisch ausformulierten
'Erloesungsutopien' und -'ideologien' sind im Verstaendnis
der NSK unloesbar mit bestimmten kollektiven Traumata
verbunden, die bis heute wirksam sind. Die NSK vertritt die
Ansicht, da§ es nicht durch die Erarbeitung einer neuen
Zeichensprache, sondern nur mittels des Rueckgriffs auf
diese vorhandenen traumatischen Texte moeglich sei, die
speziellen Punkte in der Geschichte zu benennen und zu
verarbeiten, in denen das Umschlagen von genuin utopischen
Ansaetzen in traumatische Erfahrungen festzumachen ist:
Einen solchen Punkt erkennt die NSK z.B. in der gegen Ende
der 20er Jahre dieses Jahrhunderts vollzogenen Assimilation
bzw. der Aufhebung der kuenstlerischen Avantgarden in
totalitaere Systeme.
Die NSK zielt nicht mittels Ironie, Parodie oder Satire auf
eine Ueberwindung der Macht der ideologischen Zeichen ab,
sondern bemueht sich um eine Bewu§tmachung der Macht dieser
Zeichen. Der NSK geht es um ein Nachvollziehen, um eine
Rekonstruktion und, daraus folgend, um ein analysierendes
Zerlegen der Ideologie in ihre herrschaftskonstituierenden
aesthetischen Fundamente. Das slowenische Kollektiv ist der
†berzeugung, da§ diese ideologischen Zeichen niemals
ueberwunden werden koennen, sondern da§ einer Ideologie nur
durch Bewu§tmachung dieser aesthetischen Fundamente ein Teil
ihrer Macht genommen werden kann.
Subversive Strategie
Die von der NSK in den 80er Jahren eingesetzten radikalen
kuenstlerischen Strategien koennen als aesthetische
Umsetzung der sich in den 80er Jahren entwickelnden Theorie
der slowenischen Lacan-Schule um den slowenischen
Psychoanalytiker und Lacanier Slavoj Zizek gesehen werden.
Diese neue Theorie, auf die sich die spaeteren Mitglieder
der NSK schon Anfang der 80er Jahre bezogen, wurde zu einem
wichtigen theoretischen Fundament des Selbstverstaendnisses
der subkulturellen Szene Ljubljanas. Die Aktionen des
Kuenstlerkollektivs sind weniger als Reaktionen auf
bestimmte tagespolitische Ereignisse in Slowenien bzw.
Jugoslawien zu begreifen; vielmehr ist die NSK als ein die
ideologisch-aesthetische Fundierung des Staates
'uebercodierendes' Rechercheunternehmen zu verstehen, das
den sogenannten ideologischen Ueberbau des jugoslawischen
Staates zum Thema machte und diesen 'Ueberbau', den die NSK
als Regulativ aller gesellschaftlichen Beziehungen begriff,
subversiv in Frage stellte. Die Betonung liegt hier auf
subversiv, denn die Strategie der NSK aeu§erte sich nicht in
einem offen kritisierenden bzw. moralisierenden Diskurs
gegenueber dem Staat und der Ideologie, nicht in der
'Distanzierung zur Ideologie' durch Satire oder Ironie,
sondern zeichnete sich durch eine 'Ueber-Identifizierung'
mit der 'herrschenden Ideologie' aus.
'Ueber-Identifizierung' mit der 'verdeckten Kehrseite' der
Ideologie
Nach Slavoj Zizek und Peter Sloterdijk laeuft offene Kritik
an der Ideologie eines Systems ins Leere, denn jeder
ideologische Diskurs zeichne sich heute durch Zynismus, d.h.
durch die internalisierte, in ihm schon vorweggenommene
Kritik seiner selbst aus. Die Ideologie 'glaubt' ihren
eigenen Aussagen nicht mehr, sie hat eine zynische Distanz
zu den eigenen moralischen Praemissen angenommen. Folglich
ist dem Zynismus als universalem und diffusem Phaenomen mit
den tradierten Mitteln der Ideologiekritik (z.B. durch
aufklaererisches Engagement) nicht mehr adaequat zu
begegnen. Gegenueber einer zynischen Ideologie erweist sich,
so Zizek, das Mittel der Ironie als 'in die Haende der
Maechtigen spielend'. Die von der Ideologie vorgebrachten
oeffentlichen getroffenen Aussagen und vermittelten Werte
sind 'zynisch', sie sind also nicht dazu da, ernstgenommen
zu werden. Problematisch wird es dann fuer die sogenannte
'herrschende Ideologie', sobald der 'angemessene Abstand'
nicht laenger gewahrt bleibt, wenn also eine '†ber-
Identifizierung' mit der Ideologie stattfindet. Denn nach
Zizek setzt sich eine Ideologie immer aus zwei Teilen
zusammen: aus den von einem politischen System oeffentlich
verkuendeten und propagierten 'expliziten' Werten und der
sogenannten 'verdeckten Kehrseite' ('the hidden reverse'),
d. h. den implizit mittransportierten Werten und Praemissen
einer Ideologie, die aber, damit eine Ideologie
funktionieren und sich reproduzieren kann, unausgesprochen
bleiben muessen. Die NSK nahm sich dieser 'impliziten'
ideologischen Praemissen (z.B. Gewalt, Faszination,
Genie§en) an und brachte diese durch ihre Strategie der
'†ber-Identifizierung' zum Vorschein.
Schaffung einer dysfunktionalen Ideologie
Ein wichtiges Element der Funktionsweise von Ideologien wird
von Zizek im Angebot des Genie§ens, also in einer dem
Individuum von einer Ideologie angebotenen Abnahme der
Ordnung des Realen gesehen. Der ideologische Diskurs setzt
sich aus einzelnen Elementen, den sogenannten 'gleitenden
Signifikanten' oder sinthomen zusammen, die, fuer sich
genommen, bedeutungslos sind und ihre ideologische Bedeutung
erst im Kontext des Diskurses einer Ideologie annehmen. Die
von der NSK vor allem in den Buehnenauftritten von 'Laibach'
vollzogene Dekonstruktion der Ideologie ist, folgt man
Zizek, als ein sich auf zwei Ebenen vollziehender Prozess zu
verstehen: 1. als Dekontextualisierung, also als das
Herausrei§en der einzelnen Elemente aus dem Kontext, der den
Phaenomenen Bedeutung verleiht und 2. als
Rekontextualisierung dieser fuer sich bedeutungslosen
Fragmente (sinthome) in einer von dem Kollektiv geschaffenen
dysfunktionalen Ideologie bzw. einer Pseudoideologie. Das
vermeintliche Identifikationsangebot, das allen von der NSK
verwendeten ideologischen Elementen eigen zu sein scheint,
loest sich nach dem Abzug des sinnstiftenden Kontextes auf -
uebrig bleiben die Versatzstuecke und Splitter der
Ideologie, die in der "voelligen Stumpfsinnigkeit ihrer
materiellen Praesenz" (Zizek) erfahrbar werden. Die Funktion
dieser 'exorzistischen Strategie' (Benson) kann als das
'Vorhalten eines Zerrspiegels' umschrieben werden, die durch
die Offenlegung des in einer Ideologie wirkenden Genie§ens
beim Publikum eine kathartische 'Selbstaufklaerung' bewirken
sollte.
* The 90s: Facing Global Politics
Die politischen Ereignisse in Jugoslawien zu Beginn der 90er
Jahre sind nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit des
Kuenstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst geblieben.
Zeitgleich zur politischen Durchsetzung der Unabhaengigkeit
Sloweniens hat sich die NSK 1991 deklarativ von einer
'Organisation' in einen 'Staat' umgewandelt. Das
kuenstlerische Konzept des NSK Drzava v casu ('NSK Staat in
der Zeit') nimmt in spezifischer Weise Stellung zu den
konkreten politischen Entwicklungen in Ex-Jugoslawien: Es
versucht durch einen kuenstlerischen Gegenentwurf eine
Alternative zu den seit Beginn der 90er Jahre
wiedererstarkten politischen Fixierungen auf Territorien,
Ethnien und Grenzen (nicht nur in Ex-Jugoslawien, aber dort
sicherlich in seiner extremsten Auspraegung) aufzuzeigen.
* Time & Movement: the Key Relation
Der NSK Drzava v casu definiert sich als kuenstlerisches
Staatskonzept weder durch ein konkretes geografisches
Territorium, noch durch eine ethnisch festgelegte
Staatsnation. Das Konzept der NSK betont fuer die Definition
des eigenen 'geistigen' Territoriums den Begriff der Zeit.
Der Begriff der Zeit wird als eine neue produktive Kategorie
zur Definition des Raumes herangezogen. 'Zeit' ist in dieser
Terminologie mit der individuellen Akkumulation von
'Erfahrungen' gleichzusetzen:
"The role of art and artists in defining time which belongs
to them individually is more effective than in defining
territory. The real, not imaginary, 'fatherland' of the
individual is limited to the circle of the house in which he
was born, the classroom or the library in which he acquired
knowledge, the landscapes in which he walked, the spaces to
which he is oriented, to the circle of his own individual
experience, to that which exists and not that he was born
into.
The territorial borders of the NSK state can by no means be
equated with the territorial borders of the actual state in
which NSK originated. The borders of the NSK state are drawn
along the coordinates of its symbolic and physical body,
which at the time of its activity acquired objective values
and objective status." (6)
Das kuenstlerische Konzept definiert den "NSK Staat" als
'abstrakten Koerper', dessen Grenzen sich - abhaengig von
den Aktivitaeten des ihn konstituierenden 'physischen' und
'symbolischen' Koerpers - in einem Zustand staendiger
Bewegung befinden und dessen 'Territorium' im Bewu§tsein
seiner 'Buerger' angesiedelt ist:
"The NSK state in time is an abstract organism, a
suprematist body, installed in a real social and political
space as a sculpture comprising the concrete body warmth,
spirit and work of its members. NSK confers the status of a
state not upon territory but upon the mind, whose borders
are in a state of flux, in accordance with the movements and
changes of its symbolic and physical collective body." (7)
Mit der Betonung des Faktors Bewegung wird eine weitere
produktive Kategorie zur Definition des 'Raumes'
eingefuehrt. Durch Bewegung, also physischen Ortswechsel von
einem Ort zu einem anderen und, daran anschlie§end, durch
die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem 'anderen Ort'
bzw. mit dem 'anderen geistigen Territorium' werden neue
Erfahrungen moeglich, die so wieder zur Entstehung von
'Zeit' beitragen. "The relation between place and time is
the key relation. Movement implies temporality, i.e.
produces time." (8) In der Terminologie von 'Irwin' ist
diese spezifische Form von Bewegung mit einer
'Transplantation von Wissen' gleichzusetzen:
"There are basic differences between the perception and
interpretation of the sign language of Irwin's paintings.
This is one of our main concerns, because signs change with
time and place. A sign may have one meaning in Russia, and
yet another meaning in the West. Recognition of signs and
symbols functions in such a way that their meanings differ
with places; but nevertheless they have certain elements in
common. Differences and similarties provide logic to our
research. Irwin's starting point is to proceed from the
specificity of the place of its origin, and to transfer
experience [to the West]. This is transplantation of
knowledge." (9)
Der 'immaterielle Staat' NSK Drzava v casu vollzieht diese
Bewegung, indem er sich in zeitlichen Abstaenden an
verschiedenen Orten in Form einer 'Botschaft' oder eines
'Konsulates' materialisiert (10). Dies bedeutet, da§ sich
Mitglieder der verschiedenen Gruppen der NSK, wie erstmalig
1992 im Rahmen der "NSK Embassy Moscow" (11) in Moskau
geschehen, gemeinsam an einen bestimmten Ort begeben (in
Moskau z.B. eine private Wohnung) und dort im Rahmen von
eigenen Vortraegen, Vortraegen eingeladener Theoretiker und
Kuenstler und Diskussionen mit dem Publikum zu einem
Erfahrungsaustausch einladen. Der Veranstaltungsort wird
fuer die Dauer der 'Botschaft' oder des 'Konsulates' zum
staatlichen Territorium des NSK Drzava v casu deklariert.
Das zentrale Element des Erfahrungsaustausches wird von
Ausstellungen ('Irwin'), Konzerten ('Laibach') oder Theater-
auffuehrungen ('Kozmokineticni Kabinet Noordung') begleitet.
Der NSK Drzava v casu hat sich bislang in Moskau, Gent,
Venedig, Suhl, Berlin, Florenz, Amsterdam und Umag
temporaer, teilweise auch permanent installiert.
* NSK State without Territory
Slavoj Zizek hat in seinem Text "Es gibt keinen Staat in
Europa" (1992) eine theoretische Untermauerung des
kuenstlerischen Konzeptes des "NSK Staates" gegeben und
seine Ueberlegungen an die konkreten Ereignisse in Ex-
Jugoslawien seit 1991 angeknuepft. Zizek geht davon aus, da§
die utopischen Vorstellungen sowohl der europaeischen
radikalen Linken wie auch der antiliberalen Rechten entweder
auf die Abschaffung des Staates oder auf seine Unterordnung
unter die 'Gemeinschaft' gezielt haetten.
"The utopian perspective, which henceforth opened up towards
both the radical left-wing as well as the antiliberal right-
wing, was the abolition of the State or its subordination to
the community." (12)
Der Krieg in Ex-Jugoslawien ist - so Zizek - auf den Zerfall
staatlicher Autoritaet sowie auf die Unterordnung
staatlicher Strukturen unter ethnische Interessen
zurueckzufuehren:
"Today's experience, summed up in the word 'Bosnia',
confronts us with the reality of this utopia. What we are
witnessing in Bosnia is the direct consequence of the
disintegration of State authority or its submission to the
power play between ethnic communities - what is missing in
Bosnia is a unified State authority elevated above ethnic
disputes." (13)
Entgegen den utopischen Vorstellungen sowohl der Extrem-
Linken wie auch der Extrem-Rechten zeige sich nun, "that
there is nothing liberating about the breaking of the state
authority - on the contrary: we are consigned to corruption
and the impervious conflict of local interests which are no
longer restricted by a formal legal framework." (14) An
diese Ueberlegungen anschlie§end formuliert Zizek sein
zunaechst paradox erscheinendes philosophisch-theoretisches
Staatskonzept, das eine Umkehrung der bislang
vorherrschenden Utopiekonzepte darstellt:
"From all this it is thus necessary to draw what at first
glance seems a paradoxical, yet crucial conclusion: today
the concept of utopia has made an about-turn - utopian
energy is no longer directed towards a stateless community,
but towards a state without a nation, a state which would no
longer be founded on an ethnic community and its territory,
therefore simultaneously towards a state without territory,
towards a purely artificial structure of principles and
authority which will have severed the umbilical chords of
ethnic origin, indigenousness and rootedness." (15)
* Transposition: Zeppelin = Vehikel / Trajekt und Vektor
Waehrend die NSK in den 80er Jahren statisch, also
ortsgebunden, die Fluktuation von aesthetisch-ideologischen
Zeichen durch Territorien analysierte, wird das
Kuenstlerkollektiv in den 90er Jahren durch seine
Transformation von einer Organisation in einen
'Staatkoerper' selbst zu einem durch reale Territorien
fluktuierenden immateriellen 'Organismus'. Der NSK Drzava v
casu wird so zum trajektiven Vehikel eines "reinen Aussen",
zu einer Huelle ohne Inneres, zu einer Grenze ohne
Territorium. Die einzige Existenzform des NSK State in Time
sind seine Botschaften, die als ephemere temporaere
Materialisationen der Sichtbarmachung symbolischer
Differenzen dienen. Das Ziel der Transpositionen der NSK,
des Sich-In-Bewegung-Setzens, der Reisen und des sukzessiven
Ver-Setzens des gesamten 'Organismus' der NSK ist die
Kommunikation und der Austausch mit diesem anderen
(differenten) Ort.
"[...] an autonomous NSK territory can be defined; a
territory capable of moving, not confined by geographical,
national and cultural borders; a territory realizing its own
notional space." (16)
* This text partly relies on the concept paper for the
exhibition "Topos / Territorium: Mobile States - Shifting
Borders - Moving Entities" by Inke Arns and Kathrin Becker
(both Berlin) , written in March 1996 and on the M. A.
thesis "Neue Slowenische Kunst (NSK) - their artistic
strategies in Yugoslavia in the Eighties" by Inke Arns,
Eastern European Institute at the Free University of Berlin,
December 1995
Anmerkungen / References:
(1) Paul Virilio, "Revolutionen der Geschwindigkeit", Berlin
1993, S. 62
(2) Jean Baudrillard, "Kein Mitleid fuer Sarajevo" (1993),
in: Lettre international, Berlin, Winter 1995, S. 91
(3) Fredric Jameson, "Postmoderne: Zur Logik der Kultur im
Spaetkapitalismus", in: Andreas Huyssen / Klaus Scherpe
(Hg.), "Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels",
Reinbeck bei Hamburg 1989, S. 99 f.
(4) vgl. Inke Arns / Kathrin Becker, "Topos / Territorium.
Mobile States - Shifting Borders - Moving Entities",
(Ausstellungskonzept) Berlin 1996
(5) Laibach, zit. nach: Claudia Wahjudi, "Zwoelf Jahre
musikalische Zitatenschlacht zwischen zwei kontraeren
Systemen", Interview mit 'Laibach', in: Neues Deutschland,
13. 8. 1992
(6) Eda Cufer & Irwin, "Concepts and Relations"(1992), in:
Irwin, "Zemljopis Vremena / Geografia del Tempo",
Ausstellungskatalog, Umag 1994, o. S.
(7) Eda Cufer & Irwin, "NSK State in Time"(1993), in: Irwin,
"Zemljopis Vremena / Geography of Time", a.a.O.
(8) 'Irwin', in: "Transcentrala (Neue Slowenische Kunst
Drzava v casu)", Video von Marina Grzinic & Aina Smid, 20.05
min, Ljubljana 1993
(9) Ebd.
(10) Eine andere Manifestationsform des NSK Drzava v casu
sind die von diesem herausgegebenen Reisepaesse, die als
"confirmation of temporal space" (NSK) gelten und
unabhaengig von Staatsangehoerigkeit oder Nationalitaet von
jeder Person erworben werden koennen.
(11) Neue Slowenische Kunst, "NSK Embassy Moscow. How the
East sees the East" (Irwin in Collaboration with Apt-Art
International and Ridzina Gallery, Moscow May 10 - June 10,
1992), Obalne Galerije Piran / Loza Gallery Koper (eds.),
Koper [1992]
(12) Slavoj Zizek, "Es gibt keinen Staat in Europa"(1992),
in: "Padiglione NSK / Irwin: Gostujoci umetniki / Guest
artists", Ausstellungskatalog XLV. Biennale di Venezia 1993,
hg. v. Moderna Galerija, Ljubljana 1993, o.S.
(13) Ebd.
(14) Ebd.
(15) Ebd.
(16) Miran Mohar (Irwin), in: Eda Cufer, "The Symptom of the
Vehicle", Interview with Irwin (NSK), 1995
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